Identität_beschnitten

Und ich sage, ich bin froh, dass es kein Junge ist, und sie sagt, warum, und ich sagte, weil ich das Baby nicht beschneiden lassen muss. Hätte ich eh nicht gemacht, sage ich. Ihre Augen werden groß.

Nicht, fragt sie, wieso nicht? Und ich sage, weil das kleine Wesen mir doch vertraut, weil ich es vor jedem Schmerz beschützen muss. Und sie sagt, das ist ja bescheuert, willst du dich etwa den anderen anschließen, die da sagen wir seien Babaren und Stümler? Willst du sagen, dass Beschneidung Körperverletzung ist? Willst du ihnen allen recht geben? Ich sage, nein, ich bin nicht gegen Beschneidung, nur nicht beim Baby. Später vielleicht. Dann könnte ich es ihm erklären und ihn eine Woche lang betüdeln, bis alles vorbei ist. Das ist doch Blödsinn, sagt sie, und was ist, wenn die Vorhaut zuwächst, würdest du es dann auch nicht machen lassen? Doch, natürlich, sage ich, aber dann gäbe es ja ein Problem, ein medizinisches, das würde ich natürlich operieren lassen. Aber einfach so nicht. Das Baby ist perfekt wie es ist. Ich könnte es nicht zulassen, dass daran herumgeschnibbelt wird. Herumgeschnibbelt? Und was ist mit Amerikanern, sagt sie, die machen es alle, ob Jude oder nicht. Was würdest du denn den Amerikanern sagen? Denen würde ich das gleiche sagen, sage ich, und sie sagt, ich verstehe dich nicht. Und ich sage, naja, die Muslime machen es bei größeren Kindern, das finde ich besser. Wenn die das verstehen, und sie sagt, wie lange muss man denn warten bis die das verstehen, und ich sage, solange bis sie es eben tun. Und dann schaut sie mich ganz ernst an und sagt, willst du deinem Kind keine Identität geben? Und ich sage, ich weiß nicht, und sie fragt, hast du eine Identität? Und ich sage, ich weiß nicht, vielleicht, aber vielleicht auch nicht so richtig, ein bisschen vielleicht. Aber du kommst doch öffterst hier in die Synagoge, sagt sie und ich sage, ja, weil ich noch danach suche. Und dann sagt sie, jetzt wird es mir klar – das ist einfach egoistisch von dir. Und ich frage, was denn? Und sie sagt, nur weil du keine Identität hast, willst du deinem Sohn auch keine geben. Nein, sage ich, nein, ich will ihn doch bloß nicht beschneiden. Die Vorhaut ist doch nicht das einzige Merkmal für Identität. Und sie sagt, was sagst du ihm denn, wenn er fragt, Mama, alle in meiner Peergroup sind beschnitten, warum ich nicht? Ich sage, na dann kann er das doch nachholen. Kann man dann abschneiden, was zuviel ist. Andersherum, sage ich, wenn er in der Peergroup der einzige beschnittene ist, wird er vielleicht fragen wo das Stück Vorhaut geblieben ist und ich könnte es ihm nicht sagen, ich würde ihm nichts anbieten können um es zu ersetzten. Alles Ausreden, sagte sie, es liegt bloß an dir, sagt sie, nur weil du keine Identi…nein, unterbreche ich sie, nein es wäre eher egoistisch wenn ich ihn beschneiden würde, so als ob ich dadurch eine bessere Jüdin werden könnte, dass mein Sohn beschntten ist. Und überhaupt, ich denke es sind veraltete, patriarchale Systeme, die die Frau unterdrücken wollen, indem ihr am achten Tag das Baby entrissen wird und ihm die Vorhaut abgeschnitten wird. Und sie sagt, ich bin enttäuscht, in den eigenen Kreisen vermutet man sowas am wenigsten, und ich sage was? Was? Und sie schüttelt den Kopf, schiebt mit dem Zeigefinger die Brille hoch und sagt, dein Sohn kann kein richtiges Mitglied sein. Das kann er nicht. Und ich sage, aber ich habe doch eine Tochter.

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